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Aus eigenem Holz


Angemessen, klassisch und soeben mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnet: Schule, Dorfladen, Gemeindeamt und Dorfgasthaus aus massivem Holz. Nach dem Entwurf von Bruno Spagolla für Blons im Großen Walsertal. Walter Zschokke

Wenn man von Süden her über das Tal auf den Sonnenhang schaut, auf dem die zahlreichen Höfe des Dörfchens Blons verteilt sind, fällt auf, dass um die Kirche herum einige größere Baukörper stehen und kleinere sich dazu scharen. Zusammen bilden sie das Dorfzentrum. Der Kirchturm mit spitzem Helm überragt die Gruppe, darunter lagert die Längsseite des Kirchenschiffs unter steilem Schindeldach. Zu beiden Seiten schließt je ein giebelständiges Bauvolumen an, das jenes der nahen Familienhäuser um das Vier- bis Fünffache übersteigt. Es handelt sich links um das alte Volksschulhaus aus den 1950er-Jahren, rechts um das neue, das diesen Herbst in Betrieb genommen wurde. An den äußeren Flügeln dieses gleichsam klassischen Aufbaus befinden sich zwei parallel am Hang liegende Baukörper; links die Hauptschule aus den 1970er-Jahren, die sich in die alte Volksschule ausdehnen wird, sowie rechts das Gebäude mit dem neuen Dorfgasthaus und dem Gemeindeamt. Noch leuchtet das Holz der Neubauten hellgelb heraus. In wenigen Jahren wird es die Sonne goldbraun und bald noch dunkler gebrannt haben.

Ja, ist denn diese auf Harmonie bedachte Verdichtung der dörflichen Struktur zeitgemäß? Das kontextuelle Bauen ist doch vorbei. Angesagt ist das Betonen von Gegensätzen, die Fixierung auf den eitlen Solitär, und überhaupt, wo bleibt da die Innovation? Angemessenheit, denn um die geht es hier, ist zeitlos. Angemessen zu entwerfen heißt eben nicht, ein Bauwerk monofunktional auf Aufmerksamkeit hin zu trimmen, mit dem erwartbaren Risiko, dass ein aggressiv um Beachtung bettelndes Äußeres nach einigen Jahren peinlich wirkt, weil die überzogene Gestik lächerlich geworden ist. Heute, da gestalterisches Polarisieren in vielen Fällen zum Selbstzweck verkommen ist und die Pawlowschen Hunde der Architekturagitprop nur auf simple Äußerlichkeiten ansprechen, ist es hingegen eine Wohltat, vertieftes Eingehen auf komplexe, Tradition und Innovation integrierende Angemessenheit nachvollziehen zu dürfen und den vielschichtigen Überlegungen nachzuforschen, die diese und jene Entwurfsentscheidung zur Folge hatte. Damit gelangen wir in jenen Bereich komplexen Genießens von Architektur, der dem schnellen Kick vordergründiger Effekte überlegen ist, weil er nicht zuletzt nachhaltiger ist. Das heißt aber auch, dass traditionelle Prinzipien, kombiniert mit neuer Technik, oft weniger störanfällig sind als kaum erprobte Neuigkeiten. Die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts zeigt daher unter anderem, dass ein Verdrängen von Erfahrung zu eklatanten Bauschäden führt.

Das Dorf Blons musste nach den schweren Lawinenniedergängen vom 11. Jänner 1954 nicht weniger als 57 Menschenleben beklagen. Die Schneemassen hatten den Schutzwald umfahren oder sich neue Bahnen gebrochen. Als Gegenmaßnahmen wurden hoch oben Verbauungen errichtet, und der gemeindeeigene Schutzwald wurde erweitert. Doch auch dieser erfordert Pflege, will sagen: Durchforstung. Dabei fallen zuhauf kräftige Stämme von Fichten, Weißtannen und Lärchen an, und manch schöner Bergahorn ist auch dabei.

Die Blonser besitzen also Holz genug, weshalb sie es als Baumaterial für die dringend benötigten Zentrumsfunktionen festlegten. Die neuen Gebäude sollten die zweiklassige Volksschule mit Turnsaal und den Dorfladen sowie die Gemeindeverwaltung und endlich wieder ein Dorfgasthaus enthalten. Dazu kam ein Lawinenlehrpfad zur Erinnerung und Aufarbeitung, aber ebenso zur Mahnung für Skitouristen und Snowboarder. Ein Architektenwettbewerb erkor das Projekt von Bruno Spagolla aus Bludenz, der vor Jahren die Hauptschule gebaut hatte, zur Ausführung.

Die Funktionen sind auf zwei Gebäude aufgeteilt, die von der Straße weg in den Hang hinausgeschoben sind, so dass eine ebene Fläche als Schulhof und Parkplatz entsteht und darunter, zum Tal hin, ein volles Geschoß Licht erhält. Im Untergeschoß des giebelständigen Schulhauses befinden sich Turnsaal und Garderoben. Das große, außermittig liegende Fenster prägt die Stirnseite des Gebäudes und bietet den Turnenden Ausblick ins Tal. Darüber im Erdgeschoß ist der Dorfladen angeordnet, der vorher von der Straße abgelegen und recht beengt war. An der eingezogenen Nordostecke, einem Schopf, wie diese wettergeschützte Vorzone in Vorarlberg genannt wird, befindet sich der Eingang zu den beiden Volksschulklassen, die das Obergeschoß ausfüllen. Eine Galerie nutzt zusätzlich den Firstraum unter dem Satteldach für Gruppenbereiche, das Giebeldreieck ist verglast und gibt wieder die Aussicht ins Tal frei.

Doch nun zum Holz: Mit provisorischen Seilbahnen aus dem Wald gebracht und in der nahen Großsägerei zu Klotzbrettern und Balken geschnitten, wurden die Fichtenbohlen zu 20 cm starken und 80 cm breiten Elementen gefügt, die von diagonal vorgebohrten und eingepressten Buchenholzdübeln zusammengespannt werden. Die stärker getrockneten Dübel quellen im wenig feuchteren Fichtenholz wieder auf und halten durch Reibung fest. Diagonaldübelholz nennen es die Fachleute. Mit diesen Elementen werden Wände und Decken gefügt und als transportierfähige Teile auf dem in Stahlbeton gegossenen Sockelbauwerk aufgerichtet. Als Witterungsschutz ist eine in Nut und Kamm gefügte Bohlenplatte, die ebenso durch Diagonaldübel zusammengehalten wird, vor die Holzwand montiert. Gemeinsam verfügen sie über ausreichend Dämm- und Speicherwirkung, so dass für das Gebäude Passivhausstandard erreicht wurde. Auch das Satteldach ist aus Diagonaldübel-Holzelementen gefügt. Das statische Verhalten dieser Platten und Scheiben gleicht jenem von Stahlbeton, sie sind allerdings bloß ein Drittel so schwer und bilden keine Wärmebrücken. Und für die erdberührenden Teile kam ausreichend Beton zum Einsatz. So ergänzen sich die Materialien.

Aus den kräftigsten Weißtannen, ein Baum, der in Vorarlberg häufiger ist als sonst in Österreich, konnten wunderschön schlichte, astfreie Bretter und Kantel geschnitten werden, die für die Fenster und an den Laibungen Verwendung fanden. Für die Handläufe und Stiegen kam handschmeichelnder Bergahorn zum Einsatz. So sind die meisten im Schutzwald vertretenen Hölzer auch im Schulhaus zugegen.

Das andere Gebäude enthält im Erdgeschoß das Dorfgasthaus und darunter im Gebäudesockel die Gemeindeverwaltung. Es ist als Skelettbau mit kräftigen Schichtholzpfeilern errichtet, dessen Pultdach wieder von Diagonaldübel-Holzplatten getragen wird, die zusätzlich unterspannt sind. Die Gestaltung bleibt zeitgenössisch, wie dies der aufgeschlossenen Gemeinde mit einem nicht geringen Anteil junger Einwohner entspricht. Vor allem aber wurde das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Ort gesellschaftlicher Begegnung wieder erfüllt. Die prächtige Aussicht an den entlang der Südfassade aufgereihten Tischen wird aber auch Gäste von auswärts herbeilocken. Und nebenbei können sie sich von den Bauwerken deren Geschichte erzwohlen lassen, in der Angemessenheit und vernetztes Denken und Handeln gut vertreten sind.

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum, 12.11.2004
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